Ist industrielle Werbung…anders?
Tatsächlich herrscht nach meiner Beobachtung gerade in Mittelstand die Meinung vor, dass Werbung für industrielle Produkte anders zu gestallten sei als in Konsumentenmärkten. Mit dieser Ansicht wurde ich in meiner Berufspraxis tagtäglich konfrontiert. Weil man es schließlich mit hochgebildeten Fachleuten (und die sind ja komplizierte Texte gewohnt) zu tun habe, müsse für diese speziellen Zielgruppen auch die Werbung nach logischen, rationalen Gesichtpunkten aufgebaut sein…ist das jetzt wirklich so???
Wer das sagt sollte bedenken, dass diese „Fachleute“ gleichzeitig auch heftig umworbene, weil besonders zahlungskräftige, Zielgruppen für die Konsumgüterindustrie sind. Zum Beispiel die Automobilindustrie mit ihren hochbezahlten Super-Werbeagenturen mit ihren Millionen-Budgets. Und die kennen nun wirklich jeden Werbe-Trick. Damit ist Ihre industrielle Werbeanzeige im Kampf um die Gunst der Aufmerksamkeit automatisch einer extrem starken und hochprofessionellen Konkurrenz ausgesetzt. Und die wirkt aus allen erdenklichen Richtungen auf das Unterbewusstsein der Fachleute ein.
Unsere selektive Wahrnehmung hat ihre Grenzen
Auf dem Weg zur Arbeit im Autoradio, auf dem Plakat an der Haltestelle, auf dem Smart-Phone im Job, in der Zeitung während der Pause, daheim vor dem Fernseher, Fachleute werden aus allen Seiten von hochprofessionellen Werbungstreibenden bestrahlt. Allerdings, unsere selektive Wahrnehmung, die unterbewusste Aufnahmefähigkeit des menschlichen Gehirns, hat ihre Grenzen. Es bleibt wenig Hängen von der schönen Werbeanzeige für das neue DLRO10HD mit integrierter Rauschunterdrückung und internem Datenspeicher. Einen Filter zur Rauschunterdrückung hat übrigens auch unser Gehirn. Und der entlastet unseren internen Datenspeicher, indem die komplexen Informationen für überflüssig erklärt und einfach – löscht. Und zu dieser komplexen Information gehört in den allermeisten Fällen auch Ihre teuer bezahlte Werbung. Sie wird schlicht nicht registriert. Und wenn etwas nicht gesehen wird, dann macht man sich darüber auch keine Gedanken. Auf uns stürmen jeden Tag tausende Werbebotschaften ein. Daher sollten sich Werbetreibende im Mittelstand über ein paar Aspekte der Werbewirkungspsychologie Bewusst sein. Werbung ist nicht so simpel, wie viele glauben möchten.
Nicht in der Reizflut untergehen
Kennen Sie das wichtigste Ziel einer Werbeanzeige? Falsch, es ist nicht die Generierung von mehr Umsatz. Die wichtigste Aufgabe Ihrer Werbeanzeige ist es, selbst vom menschlichen Gehirn wahrgenommen zu werden. Für sich selbst Werbung zu machen! Nur dann kann Ihr Anliegen zur Geltung kommen und mehr Umsätze generieren. Pro Jahr werden in der deutschen Werbeindustrie 30 Mrd. Euro ausgegeben, allein zu dem Zweck, die Werbung so auffällig wie möglich zu gestalten. Werbung muss …auffallen. Um jeden Preis. Das genau ist die Aufgabe der Kreation. Achten Sie bitte einmal bei sich selbst darauf, wann Sie welche Dinge beachten! Und warum? Sie bemerken schnell: Für andere in Ihrer Umgebung deutlich wahrnehmbare Ereignisse nehmen Sie einfach nicht wahr. Die Werbepsychologen bedienen sich darum einer breiten Palette von Methoden, um trotzdem zu Ihnen als Konsument durchzudringen.
Werbung muss Aufmerksamkeit erregen
Unsere Aufmerksamkeit filtert die meisten Reize heraus. Nur was für Sie gerade Bedeutung hat, oder haben könnte, kann von Ihnen bewusst wahrgenommen werden. Diese natürliche Filterfunktion in Ihrem Gehirn ist ein Freund, der Sie vor Reizüberflutung schützt. Er lässt quasi als Türsteher nur durch, was Ihnen (oder Ihrem Clan) zum Überleben in der Wildnis oder zur Fortpflanzung dient. Für den Kommunikationsfachmann ist dieser Filter der natürliche Feind, den es zu besiegen gilt. Er ist die Inkarnation des Bösen. Er ist der Drachen, den er töten muss, um erfolgreich zu sein. Dazu kommen ihm grundsätzlich zwei Phänomene entgegen: Erstens der „Top-down“- und Zweitens der „Bottom-up“-Prozess in der menschlichen Wahrnehmung.
Wünsche lenken Ihre Aufmerksamkeit
„Top-down“ sind alle Wünsche, Erwartungen, Bedürfnisse oder Erfahrungen, die Ihre Aufmerksamkeit lenken. Konnten Sie zum Beispiel miterleben, wie Ihr Arbeitskollege oder Nachbar mit einem neuen Messgerät schneller und sicherer zu besseren Erkenntnissen gekommen ist, so entsteht eventuell auch bei Ihnen der Wunsch nach einem solchen Gerät. Sehr sicher werden Sie Werbung für ein solches Prüfgerät künftig mehr Beachtung schenken. Und zwar auch dann, wenn die Werbeanzeige müde, langweilig und rein informativ angelegt ist (also eine typische Mittelstandsanzeige).
Nur herausragende Werbung ist gute Werbung
„Bottom-up“ sind alle Werbe-Tricks und -Methoden, mit denen man die Ihre visuelle Aufmerksamkeit einfangen will, um sie gezielt auf eine Werbebotschaft zu lenken. An dieser Stelle beginnt jetzt Werbung wirklich interessant und spannend zu werden. Mit „Eye-Catchern“ soll ihr Blick, Ihre Aufmerksamkeit, eingefangen werden. Eye-Catcher arbeiten auf vielfältigsten Ebenen der menschlichen Wahrnehmung und nutzen Formen, Farben, Kontraste, Widersprüche, Bewegung, Neuartigkeit…Eye-Catcher dürfen alles sein – nur nicht normal. Denn mit Normalität schafft man in der Regel keine Aufmerksamkeit. Daher darf zwangsläufig auch Ihre mittelständische Kommunikation nicht „normal“ ein. Auf Ihr neues Prüfgerät sind Sie und Ihre Produktentwickler vermutlich wahnsinnig stolz. Doch für Ihre Zielgruppen ist es einfach ein…Prüfgerät.
Normale Werbung ist wie eine undichte Gasleitung
Vermutlich sieht es aus wie jedes andere Prüfgerät auf der Welt. Als „Eye-Catcher“ taugt es nicht viel. Und eine Überschrift wie: „Der neue 0815 mit XY und Z“ wird daran wenig ändern. Wenn Ihre Werbeanzeige nicht auffällt, dann fallen auch Ihre fünf Bulletpoints nicht auf, wie sie für mittelständische Anzeigen typisch sind. Außer dem seltenen „Top-Down-Konsumenten“, wird sie kaum jemand registrieren. Der kommt mit oder ohne Werbung irgendwann von selbst. Das Geschäft machen Sie mit den „Bottom-up-Konsumenten“. Also diejenigen, die auf Ihr neues Gerät erstmals über wirklich hochklassige weil kreative Marketing-Kommunikation aufmerksam wurden. Daraus folgt: Es besteht eine Pflicht zur Kreativität! Es besteht eine Pflicht zum „Herausragenden“. Nur wenn Werbung „herausragend“ ist, ist sie gute Werbung. Nur ein dichte Gasleitung ist eine gute Gasleitung. Normale Werbung ist wie eine undichte Gasleitung: Sie funktioniert nicht richtig. Wenn man also meint, dass mittelständische Werbung zwingend mittelmäßig sein muss, ist man salopp ausgedrückt einfach nicht…dicht (kleiner Spaß).
Ihre neue Gelddruckmaschine
Neben tollen Bildern als Eye-Catcher lässt sich auch mit anderen Gestaltungselementen Ihrer Anzeige die Zuwendung der Zielgruppen herstellen. Zum Beispiel mit einer gekonnten Überschrift: Stellen Sie sich vor, Sie schreiben über Ihre typisches Prüfgerät eine untypische Überschrift wie: „Ihre neue Gelddruckmaschine“. Dann könnten Sie mit einem gewöhnlichen Produkt-Bild, aber mit einer ungewöhnliche Headline, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Und wenn es Ihnen jetzt noch gelingt, im Kurztext mit wenigen Sätzen die Überschrift mit einem griffigen „Reason-Why“ gekonnt den Wert Ihres Produktes zu erklären, dann haben Sie eine herausragende Werbeanzeige für Ihr Produkt. Aber das garantiert Ihnen noch lange nicht den Erfolg. Jetzt müssen Sie auch noch für eine ausreichende Durchdringung der Märkte sorgen. Mehr dazu später.
Übrigens: Es gibt keinen Unterschied im Aufbau der Gehirne von Fachleuten und normalen Konsumenten. Daher muss industrielle Werbung B-2-B und 1:1 nach sein identischen Grundsätzen der Werbewirkungspsychologie aufgebaut sein, wie die Werbekampagnen in den Konsumentenmärkten B-2-C. Das bedeutet im Klartext: Wenn industrielle Werbung auch nur den Hauch einer Chance gegen das Know-how internationaler Werbeagenturen haben will, muss sie sich ihrer identischen Kommunikationsstrategien bedienen. Diese zielen mit wissenschaftlich erprobten Methoden in der Regel auf das Unterbewusstsein. Dorthin gelangt man aber nur über…Emotionen. Sorry Fachmann: Da macht Deine Logik und Rationalität keinen Stich. Du bist ein Mensch aus Fleisch und Blut.
Daraus folgt: Wenn Industriewerbung in diesem ungleichen Kampf Ihrer mittelständischen Grafikabteilung mit selbstgemachter Werbung gegen MacCann-Ericson, Saatchi & Saatchi oder Jung von Matt mit ihren Millionenbudgets um die Aufmerksamkeit der Fachleute auch nur halbwegs mithalten will, muss sie sich der selben subtilen (psychologischen) Methoden bedienen, die immer auf das Unterbewusstsein zielen. Mein Tipp: Machen Sie Ihre Werbung nicht selbst. Ihr Grafiker ist sicher gut ausgebildet in der Gestaltung von Broschüren oder Messwänden, er verfügt aber nicht zwangsläufig über ausreichend gute Kenntnisse in persuasiver Marketing-Kommunikation und aus der komplexen Wissenschaft der Werbewirkungspsychologie.